Zum Podiumsgespräch nach dem Film begrüßen wir Ute Strub und André Stern
In den 70 Jahren kam Ute Strub mit der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler in Kontakt, die mit ihrer Arbeit neue Wege in der Kleinkindpädagogik gegangen ist. Mit tiefer Bewunderung erzählt Ute Strub in ENTFALTUNG, wie Pikler ein in ihrer Zeit revolutionäres Verständnis von Kleinkindern entwickelte. Sie betrachtete sie von Geburt an als vollwertige und empfindsame Menschen, denen mit Achtsamkeit und Respekt zu begegnen ist. Mit dem Säugling in Beziehung sein, ihm beim Füttern, Wickeln und Baden die volle Aufmerksamkeit schenken und auf seine Bedürfnisse einfühlsam eingehen – das erachtete Emmi Pikler als wesentlich für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes.
Ute Strub war von Piklers Arbeit so berührt, dass sie es sich zur Aufgabe machte, ihren pädagogischen Ansatz in Deutschland und anderen Ländern bekannt zu machen. Sie veröffentlichte Piklers Bücher in deutscher Sprache und hielt zahlreiche Vorträge. Aber der Kern ihrer Bemühungen, den piklerischen Gedanken anderen weiterzugeben, sind nicht lange theoretische Erklärungen. Es geht ihr in erster Linie um das eigene Erleben in Form von Selbstversuchen, durch die sie in ihren Seminaren ein tieferes Bewusstsein für den Umgang mit Kleinkindern vermitteln möchte.
Durch die Beobachtung von Seminaren, in denen Ute Strub mit Eltern und Erziehern arbeitet und von Situationen in dem von ihr gegründeten Spielort Strandgut, zeichnet der Film ein sich nach und nach zusammenfügendes Bild der über 80-jährigen Kleinkindpädagogin und ihrer Arbeit.
Behutsam wird Sand mit einem großen Schöpflöffel in eine Teekanne gegossen, aus einem Salzstreuer rieselt es leise auf den Boden, eine Hand vergräbt sich knirschend in eine Schüssel – in ruhigen und geduldigen Einstellungen lässt der Film das Geschehen im Strandgut miterleben. Ute Strub möchte nicht nur ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig das freie Spiel für Kinder ist. Sie möchte auch Erwachsene dazu bringen, ihren eigenen Spieltrieb wieder zu entdecken.
Der Film zeigt Ute Strub aber nicht nur als Lehrende. In rückblickenden Erzählungen aus ihrem Leben und alltäglichen Situationen überrascht sie immer wieder durch ihre Bereitschaft zur eigenen Entfaltung, die bis in ihr hohes Alter ungeschmälert fortbesteht. Und so ist der Film auch das Porträt einer Frau, die den Zustand des Spielens zu ihrem Lebensprinzip gemacht hat.
Regie-Statement
Ich begegnete Ute Strub zum ersten Mal, als ich 2012 mit meiner anderthalb-jährigen Tochter ins Strandgut kam. Ich hatte zuvor noch keinen vergleichbaren Ort kennengelernt. Die liebevolle Gestaltung im Strandgut strahlte Ruhe auf mich aus. Die Pikler-Pädagogik war mir schon irgendwie bekannt, doch erst jetzt wurde sie für mich greifbar. Ich hatte sie noch nie so in einem Menschen verkörpert erlebt wie in Ute Strub. Ich kann mich noch an das erste Beratungsgespräch mit ihr erinnern: Ich hatte in der Zeit Schwierigkeiten, im Umgang mit meiner Tochter geduldig zu bleiben, es war abends und ich war unruhig. Ich rief sie an und ganz selbstverständlich übte sie mit mir am Telefon das Ausatmen. Damals habe ich als Mutter nach Perfektion gestrebt, und ich war frustriert, dass mir oft nicht gelang, was ich mir vorgenommen hatte. Meine Haltung hat sich durch die Seminare bei Ute verändert. Heute fällt es mir leichter, den Druck loszuwerden und sanfter mit mir selbst umzugehen.
Die Idee einen Film über Ute Strub zu machen, entstand aus dem Wunsch, ihre Arbeit und ihr Wirken festzuhalten. Sie hat sich in ihrem Leben energisch dafür eingesetzt, dass die Arbeit von Emmi Pikler, aber auch von anderen wegweisenden Menschen, wie die der Bewegungspädagogin Elfriede Hengstenberg, Verbreitung finden und nicht in Vergessenheit geraten. Aber ihr eigenes Wirken, das, was sie ausmacht, wurde bisher nicht dokumentiert. Durch die Arbeit an ENTFALTUNG habe ich Ute Strub, die ich bisher vor allem als meine Lehrerin wahrgenommen habe, noch einmal neu kennengelernt. Filmisch die haptischen und feinen Sinneswahrnehmungen darzustellen, die bei Utes Selbstversuchen eine zentrale Rolle spielen, war eine beinahe unmögliche Aufgabe. Ich hoffe trotzdem, dass der Zuschauer und die Zuschauerin einen Hauch von Inspiration bekommen, was Utes Arbeit bewirken kann und dabei vielleicht auch Lust, es selbst auszuprobieren.
Biographie Laura Lazzarin
Laura Lazzarin ist 1979 in Padua (Italien) geboren und dort aufgewachsen. Nachdem sie ihr Studium der Kommunikationswissenschaften und Soziologie abgeschlossen hat, ist sie 2005 nach Berlin gezogen, um an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Regie zu studieren. 2011 wurde ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm LAND OF JOY fertig gestellt, der u.a. auf dem 29. Torino Film Festival lief. 2010 ist ihre Tochter Greta zur Welt gekommen. Dieses Ereignis brachte sie in Kontakt mit den pädagogischen Ansätzen von Emmi Pikler, was ihr auch beruflich ein neues Feld eröffnete. 2013 hat sie die Ausbildung zur Pikler-Pädadogin begonnen und seit 2014 arbeitet sie als Leiterin von Eltern-Kind-Gruppen.